Von Huzulen und Litauerinnen
Postkarten wurden Ende des 19. Jahrhunderts zu einem zentralen Massenmedium. Stereotype Darstellungen von Personen oder Personengruppen, die wie Huzulen oder Litauerinnen primär über ihre ethnische Zugehörigkeit vorgestellt wurden, spielten dabei eine wichtige Rolle.
In dieser Online-Ausstellung, die maßgeblich auf der Publikation »Völker verkaufen« aufbaut, zeigen wir alte Postkarten, die Personengruppen teils exotisieren, rassifizieren und sexualisieren. Unser Anliegen ist, über tradierte Stereotypisierungen und ihre historische Genese in Massenmedien nachzudenken. Wir haben deshalb eine Reihe von Fragen formuliert, die sich in einem Textfenster über den Informationsbutton in der rechten unteren Ecke der jeweiligen Abbildungen öffnen. Diese sollen dazu anregen, über den Entstehungskontext der Bilder nachzudenken. Im Textfenster sind ebenfalls die Nachweise der Abbildungen zu finden.
Diese Ausstellung ist explizit an ein Publikum adressiert, das im Alltag nicht mit allen Fachbegriffen der Forschung zu Nationalismus und Ethnizität vertraut sein mag. Sie versucht so, die vertiefte Forschung in Kurzform und in deutlicher weniger Worten aufzubereiten, zur weiteren Verwendung in der Schule oder Erwachsenenbildung.
Menschen und Postkarten
Postkarten wurden Ende des 19. Jahrhunderts zu einem zentralen Massenmedium. Sie zeigten ferne und nahe Landschaften, Dörfer und Städte. Darstellungen von Personen waren ebenfalls beliebt. Käufer*innen und Absender*innen sowie Empfänger*innen und Sammler*innen nutzten die beliebten Karten, um sich ein Bild von der Welt und ihren Bevölkerungsgruppen zu machen. Stereotype Darstellungen von Personen oder Personengruppen, die primär über ihre ethnische Zugehörigkeit vorgestellt wurden, spielten dabei eine wichtige Rolle.
In den multiethnischen Grenzregionen des Deutschen Kaiserreichs, Habsburger Reichs und Russländischen Reichs war diese Entwicklung eng mit Nationalismen verbunden, die zunehmend an Bedeutung gewannen. Für weite Teile des östlichen Europa, aber auch darüber hinaus, lassen sich für die Jahrzehnte um 1900 vielfach Bildpostkarten mit sogenannten Volkstypen finden. Die kleinformatigen Medien formten Vorstellungen einer nach Völkern geordneten Welt.
Menschen bildlich nach Völkern zu ordnen, war zum Ende des 19. Jahrhunderts nichts Neues. Bereits im 16. Jahrhundert gab es sogenannte Völkertafeln.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde jedoch die Fotografie ein wichtiger Bestandteil der Volkskunde/Ethnografie, die zeitgleich eine immer größere Rolle bei der Entdeckung der Welt zu spielen begann. Fotograf*innen und Maler*innen fertigten sogenannte Volkstypen-Bilder an und verkauften die Motive unter anderem an Postkartenverlage weiter. Die später vorgenommene Beschriftung durch die Verlage ordnete die Menschen dann ethnischen Gruppen zu. Wie pragmatisch die Verlage damit umgingen, zeigt sich daran, dass manche Menschen medienübergreifend für mehrere Kategorien herhalten mussten.
Typendarstellungen auf Postkarten konnten in den Jahrzehnten um 1900 im Deutschen Kaiserreich, Österreich-Ungarn sowie dem Russländischen Reich ganz unterschiedliche Funktionen einnehmen. In den multiethnischen Grenzregionen der Imperien nahmen in dieser Zeit die Versuche zu, die Bevölkerung zu nationalisieren. Allerdings stand auf den Postkarten nicht zwangsläufig die nationale Markierung bestimmter Bevölkerungsteile und Räume im Vordergrund. Die Vermarktung von Regionen und Produkten über die Exotisierung – also Fremdmachung – von Menschen fielen ebenso ins Gewicht. Diese drei zentralen Funktionen stehen in unserer Ausstellung im Fokus. Beispiele aus verschiedenen Regionen des östlichen Europa veranschaulichen diese Funktionen.
Orte und Objekte verkaufen - Vermarktung
Der aufkommende Tourismus trug dazu bei, dass regionale wie überregionale Akteur*innen Orte und bestimmte Regionen immer stärker als Reiseziele bewarben. Postkarten spielten dabei eine wichtige Rolle. Zu Typen stilisierte Personen traten oft als besonderes Merkmal einer Stadt oder einer Region auf. Sie gaben den Orten ein »Image«. Gleichzeitig gewann auch die Produktvermarktung an Fahrt. Personen, visuell über ihre ethnische Zugehörigkeit definiert, wurden zum Gesicht verschiedener Marken.
Die Bamberka entwickelte sich zu einem Kennzeichen Posens. Die Stadt lag in der gleichnamigen Provinz im östlichen Teil des Deutschen Kaiserreichs. Hinter dem Begriff »Bamberka« verbirgt sich eine Migrationsgeschichte. Nach den Verheerungen des Nordischen Kriegs sowie damit verbundenen Krankheiten rief der Posener Bischof Ende der 1710er Jahre vor allem katholische Menschen in verschiedenen Territorien des Heiligen Römischen Reichs auf, sich auf freigewordenem Land außerhalb der Stadt Poznań/Posen niederzulassen. Um 1900 galten vor allem die sogenannten Bambergerinnen als Kuriosum in der Provinz Posen, was insbesondere mit ihrer Kleidung zusammenhing.
Die Postkarte zeigt eine Litauerin und das Litauische Haus als Sehenswürdigkeit in Preußisch Litauen. Die historische Region lag im östlichen Teil Ostpreußens. Das Museumshaus war Teil des preußisch-litauischen ethnografischen Freiluftmuseums, das im Tilsiter Park Jacobsruhe 1905 eröffnet wurde. In diesem Haus konnten Besucher*innen sehen, wie gesponnen und gewebt wurde, und Produkte wie Milch, Quark oder Käse kaufen, die von Landfrauen hergestellt wurden. Verschiedene Publikationen und auch Postkarten verwendeten diese Abbildung. Das Haus und die Frau deuteten darauf hin, dass es sich bei den »Litauern« um etwas Besonderes und Sehenswertes handelte.
Die Gailtaler Tracht war zur Jahrhundertwende ein wichtiges visuelles Merkmal der habsburgischen Region Kärnten. Verlage außerhalb Kärntens zählten zu den ersten, die Postkarten mit Gailtaler Trachten herausgaben. Der bekannte Verlag Ottmar Zieher aus München ordnete die Tracht der Gemeinde Villach zu, die in unmittelbare Nähe des Unteren Gailtals liegt. Die Karte stellte ein touristisch ansprechendes Bild Villachs dar, auf dem die Gailtaler Tracht als herausstechendes Merkmal nicht fehlen durfte.
Die Litauerinnen dienten auch Werbezwecken. Typisch ist das Beispiel einer Reklamekarte des Verlags Falk und Noack aus Halle für »Berding und Kühn – Wäsche- und Bettenfachgeschäft« (seit 1882), auf der eine der vier Abbildungen unter dem Titel »Litauische Kunstweberei« einen Webstuhl und zwei als Litauerinnen inszenierte Frauen in Tracht zeigt. Dies war eine Anspielung auf die lange Tradition des Webens von Leinentüchern im ländlichen Preußisch-Litauen.
Die Schuhfabrik Leopold Popper bewarb ihre Produkte mit einer ganzen Serie von böhmischen Trachtenkarten. Die Firma aus dem ostböhmischen Chrudim produzierte nach modernsten Methoden und war in der gesamten Habsburgermonarchie tätig. Auf dem hier ausgewählten, nicht verschickten Kartenbeispiel ist ein kindliches Trachtenpärchen zu sehen, untertitelt mit den Anfangsversen eines tschechischen Volksliedes. Die Werbebotschaft und das hierfür eingesetzte visuelle Werbemittel hatten kaum noch etwas miteinander zu tun. Trachten wurden hier also vor allem als effektiver Blickfang für die Produktwerbung verwendet.
Räume besetzen - Nationalisierung
In den multiethnischen Grenzgebieten der Imperien spielten nationalistische Ideen um 1900 eine wichtige Rolle. Konkurrierende Nationalbewegungen beanspruchten zahlreiche Regionen und Städte des östlichen Europa. Personen und Personengruppen auf Postkarten markierten bestimmte Orte und Räume national. Bildpostkarten erzählen so teils konkurrierende Geschichten. Sie verhandelten die Zugehörigkeit von Personengruppen zu Territorien und umgekehrt.
Aus zahlreichen Postkarten und den verbreiteten Serien geht die Vorstellung hervor, nationale Gemeinschaften setzten sich aus verschiedenen regionalisierten »Stämmen« oder »Völkern« zusammen. Die Postkartenserie »Typy Wielkopolskie« stellt verschiedene ethnisierte Gruppen aus der Region Wielkopolska (Großpolen/Provinz Posen) dar. Sie bilden so das Spektrum einer polnisch gedachten Nation.
Die Berge der Karpaten in Galizien wurden selten ohne Darstellungen von Goralen abgebildet. Die lokale Bevölkerung wurde zeitgenössisch zu Urpolen stilisiert. Auf Abbildungen vermittelten sie die Region als Hort der polnischen Nation.
Ein Gorale – gelesen und interpretiert als Ur-Pole – steht einer jüdischen Gruppe gegenüber. Jene Urlauber*innen sind gefangen zwischen einem sie bedrohenden Hund und einem sie zurückweisenden Bergbauern. Die als jüdisch markierten Menschen haben keinen Platz in den Karpaten, und damit auch nicht in Polen.
Akteure der slowenischen Nationalbewegung deuteten die Tracht im Kärntner Rosental als slowenisch: »Ich, slowenisches Mädchen, bin im Rosental zuhause, bin slowenisch gesinnt und slowenischen Herzens«. Die Tracht war jedoch umstritten: Akteure der deutschen Nationalbewegung in der Region versuchten, sie als deutsch zu präsentieren.
Das Synagogengebäude im Hintergrund markiert den jüdischen Raum in Warschau. Die Postkarte des jüdischnationalen Verlags Jehudia suggeriert, dass dieser Raum für alle Jüd*innen offen war – unabhängig von ihrem finanziellen Status, ihrer Traditionsverbundenheit und ihrem Geschlecht.
Fremd machen - Exotisierung
Personen aus dem bürgerlichen Milieu wurden kaum gesondert auf Postkarten abgebildet. Die Käufer*innenschaft war in den meisten der untersuchten Regionen vielmehr an Personendarstellungen interessiert, die von der modern gekleideten Stadtbevölkerung abwich. Zahlreiche Bilder sind vor dem Hintergrund einer damals verbreiteten Zivilisierungsmission in imperialen Kontexten zu lesen. Sie beinhalteten einen vorgeformten, wertenden Blick auf die Dargestellten.
Die Postkarte zeigt Nonnen und Priester aus dem Kloster der Altgläubigen in Eckertsdorf in Masuren. Die orthodoxe Enklave lag in den evangelischen Masuren mitten im Wald. Sie bedienten das Motiv der lokalen Exotik auf Postkarten als Gegenbild zu Modernisierungsprozessen an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert.
Die Postkarte zeigt eine Straßenszene aus der Stadt Constanța in der rumänischen Dobrudscha. Die Dobrudscha war Teil des osmanischen Reiches und deren Nordteil gelangte als Folge des Russisch-Osmanischen Krieges von 1877/78 an Rumänien. Der Staat versuchte, die Region zu rumänisieren und ethnische Gruppen zu hierarchisieren. Die Frauen im Vordergrund werden als Haremsfrauen (rum. Cadîne, dt. Odalisken) exotisiert. Der bürgerlich gekleidete Mann im Hintergrund und das herausgeputzte Mädchen vor ihm stehen im Gegensatz zu ihnen.
Die Serie »Siebenbürgische Volkstypen« stellte die einzelnen Bevölkerungsgruppen Transsilvaniens in ihren als typisch gesehenen Trachten und Merkmalen dar. Die Nummerierung der Volkstypen-Karten folgte einer gewissen kulturellen Hierarchisierung: Die ersten Nummern der Serie waren den sogenannten Siebenbürger Sachsen vorbehalten. An späterer Stelle enthält sie mehrere Aufnahmen, die Roma zeigen. Der Drucker und Verleger Jospeh Drotleff aus Hermannstadt (Sibiu) stellte sie als arme, aber »schöne Wilde« dar.
Unter dem Titel »Lodzer Typen« stellt die Postkarte als jüdisch markierte Menschen im Innenraum einer Synagoge in Łódź dar. Obwohl in Łódź viele wohlhabende jüdische Unternehmer lebten, zeigten Postkarten die jüdische Bevölkerung in der Regel als traditionell und häufig verarmt. Die Abbildung wurde bearbeitet, wie das gezeichnete Möbelstück im Hintergrund nahelegt. Postkarten zeigten die jüdische Bevölkerung häufig aus einer voyeuristischen Perspektive.
Postkarten inszenierten die Grenze zwischen dem Deutschen Kaiserreich und vor allem dem Russländischen Reich häufig als Zivilisationsgrenze. Die sogenannte Dreikaiserreichecke bei Myslowitz wurde auf Postkarten häufig mit stereotypen Darstellungen von sogenannten Ostjuden in Verbindung gebracht. Die Darstellungen schürten Ängste vor jüdischen Migrant*innen. Die Grenzpolizisten rücken die gezeigten Personen in die Nähe von Kriminalität.
Ausblick: Ethnische Labels im Netz
Heutzutage lassen sich vielerorts Postkarten finden, die stereotype Darstellungen von Menschen zeigen. Teilweise werden auch über 100 Jahre alte Postkarten neu aufgelegt und wieder vertrieben.
Die Kategorisierung und Stereotypisierung von Menschen auf Bildern sind heute vor allem im Netz von Bedeutung. Auf Datenbanken für lizenzfreie Bilder können User*innen selbst Bilder einstellen und benennen. Ähnlich wie auf den Postkarten um 1900 werden abgebildete Personen so zu visuellen Stellvertreter*innen bestimmter sozialer Gruppen gemacht. Dabei prüfen die Betreiber*innen der Datenbanken kaum, ob die abgebildete Person mit dieser Beschreibung einverstanden ist.